Die sogenannte A-IMK, der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger sowie seine Kollegen aus Baden-Württemberg (Innenminister Reinhold Gall), Brandenburg (Staatssekretär Matthias Kahl), Bremen (Innensenator Ulrich Mäurer), Hamburg (Innensenator Andy Grote), Niedersachsen (Innenminister Boris Pistorius), Rheinland-Pfalz (Innenminister Roger Lewentz, erkrankt), Schleswig Holstein (Innenminister Stefan Studt) und Thüringen (Innenminister Dr. Holger Poppenhäger), hat bei ihrem Treffen in Stuttgart folgende Erklärung verabschiedet:
Stuttgarter Erklärung
Konferenz der A-Innenminister am 01.02.2016 in Stuttgart
(A) Flüchtlinge
Die SPD-Innenminister sind sich einig, dass ein weiterer, ungebremster Zuzug von Flüchtlingen und Asylbewerbern nach Deutschland erhebliche Risiken für die gesellschaftliche Akzeptanz der Flüchtlingsaufnahme in der Bundesrepublik Deutschland mit sich bringt.
Aufgrund der aktuellen Lage ist ein zügiges Handeln aller politischen Kräfte, mit dem Ziel die zuständigen Verwaltungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sowohl materiell als auch organisatorisch für eine angemessene und erforderliche Aufgabenerledigung zu ertüchtigen, auf allen Ebenen erforderlich.
Insbesondere die Bundesregierung und die Europäische Union müssen im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik dafür sorgen, dass nicht nur einige wenige Länder in der EU die Last des Zuzuges zu bewältigen haben; des Weiteren ist dafür zu sorgen, dass an den EU-Außengrenzen eine geordnete Lage entsteht, welche den Bedingungen des Schengener Abkommens zur Freizügigkeit innerhalb des vertraglich umfassten Gebietes wieder entspricht.
Folgende Maßnahmen werden seitens der Innenminister der A-Länder als dringend geboten erachtet:
1. Fluchtursachen bekämpfen
Aufgrund der instabilen Lage in vielen Ländern im Mittleren und Nahen Osten sowie in zahlreichen Regionen Afrikas ist damit zu rechnen, dass sich eine große Anzahl der dort lebenden Menschen auf den Weg nach Europa machen wird, um dort eine bessere Zukunft für sich und ihre Familien anzustreben. Die individuellen Fluchtgründe sind vielfältig.
Es ist unabdingbar, dass diese Regionen nachhaltig stabilisiert werden. Die SPD-Innenminister rufen die Bundesregierung auf, ihr Bestreben zu verstärken, gemeinsam mit der EU und der internationalen Staatengemeinschaft in diesen Ländern für dauerhaften Frieden und politische Stabilität zu sorgen.
Darüber hinaus ist es unerlässlich, im Rahmen größerer Anstrengungen in der Entwicklungshilfe der Fluchtursache Armut - insbesondere in den afrikanischen und asiatischen Ländern - zu begegnen.
2. Zuzug von Flüchtlingen wirksam begrenzen
Die Kürzung der Mittelzuweisung für die Flüchtlingsversorgung durch das UNHCR (u.a. in der Türkei) war ein großer Fehler, der sich in dieser Form nicht wiederholen darf. Es muss alles dafür getan werden, dass die Menschen sich nicht aufgrund desolater Versorgung und zunehmender Perspektivlosigkeit in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer Syriens auf den Weg nach Europa machen.
Die aufnehmenden Länder, allen voran die Türkei, müssen unverzüglich in die Lage versetzt werden, die Flüchtlinge adäquat zu versorgen.
3. Geordnete Verhältnisse an EU-Außengrenzen herstellen
Es ist nicht hinnehmbar, dass einige Länder mit EU-Außengrenzen ihrer Verpflichtung zur Grenzsicherung nicht nachkommen. Diese Länder sind in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Diesbezüglich muss auch die Möglichkeit, Maßnahmen seitens der EU gegen diese Staaten zu ergreifen, bei den weiteren Beratungen auf europäischer Ebene in Betracht gezogen werden. Eine Reduzierung der Kontrollmaßnahmen an den EU-Binnengrenzen kann erst dann in Erwägung gezogen werden, wenn sich die Maßnahmen an den EU-Außengrenzen als geeignet erweisen, die Grenzen dauerhaft zu sichern und geordnete Verhältnisse bei der Einreise in das Gebiet des Schengener Übereinkommens zu gewährleisten.
Die Innenminister der SPD erklären sich ausdrücklich bereit, die Grenzländer der EU sowie die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX personell und technisch bei dieser nicht ein-fachen Aufgabe weiterhin zu unterstützen.
4. Konsequent im Inland handeln – Strafverfolgung /Rückführungsmanagement
Die Menschen in Deutschland erwarten in Zusammenhang mit der anhaltenden Flüchtlingskrise ein konsequentes Handeln der staatlichen Behörden. Insbesondere die Ereignisse der Silvesternacht haben das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger nachhaltig beeinträchtigt.
Zur Stärkung des Sicherheitsgefühls und besseren Strafverfolgung sprechen sich die A-Innenminister für eine Ausweitung der Videoüberwachung an Kriminalitätsbrennpunkten und in öffentlichen Räumen aus, die aufgrund polizeilicher Erkenntnisse als problematisch identifiziert werden.
Darüber hinaus streben die sozialdemokratischen Innenminister an, die Sanktionsmöglichkeiten durch einen intensiveren Austausch der beteiligten Behörden zu verbessern. Hierzu sollen, mit dem Ziel der Aufenthaltsbeendigung von straffällig gewordenen Ausländern, das Instrument der Fallkonferenzen durch Polizei- Ausländer und Justizbehörden intensiver genutzt werden. Insbesondere ist ein besserer Datenaustausch zu gewährleisten.
In jedem Einzelfall muss schnell geklärt werden, ob eine Person eine Bleibeperspektive hat oder nicht. Die Innenminister der A-Länder erklären, dass sie in ihrer Zuständigkeit alles daran setzten, die Verfahren weiter zu beschleunigen. Hierzu ist es unerlässlich, dass das BAMF umgehend die zugesagte Verfahrensbeschleunigung durch Abarbeitung sogenannter Altfälle als auch bei der Bescheidung aktueller Fälle umsetzt.
Dazu gehört, dass das BAMF die personelle Ertüchtigung insbesondere der Außenstellen in den Ländern zügig vorantreibt. Hier gibt es noch erhebliche Defizite.
Dazu gehört als Grundvoraussetzung auch, die umfassende Registrierung aller Flüchtlinge in Deutschland zu forcieren.
Neben der Verfahrensoptimierung kommt es beim Ziel der konsequenten Durchsetzung von Ausreisepflichten insbesondere auf die Beseitigung von konkreten Abschiebehindernissen an. Besonders bei der Beschaffung von Pässen oder Passersatzpapieren müssen die Verfahren mit Unterstützung des Bundes beschleunigt und vereinfacht werden.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Bemühungen gegenüber nicht kooperationsbereiten Herkunftsstaaten zur Rücknahme ihrer Staatsbürger weiter zu intensivieren. Falls diese Bemühungen nicht zu den gewünschten Erfolgen führen, ist ein Konzept mit alternativen Lösungsvorschlägen vorzulegen.
Ein erprobtes und erfolgreiches Verfahren stellt die Ausstellung von Laissez-Passer-Dokumenten dar. Es muss seitens der Bundesregierung und der EU angestrebt werden, gerade mit nordafrikanischen Staaten diesbezügliche Abkommen zu schließen und in der Praxis durchzusetzen.
5. Den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken, Integration
Die Integration der Flüchtlinge mit einer klaren Bleibeperspektive ist eine der großen Herausforderungen, denen sich Staat und Gesellschaft stellen müssen. Wer dauerhaft in Deutschland leben will muss bereit sein, Teil einer Gesellschaft nach dem Leitbild des Grundgesetzes zu sein. Die Vermittlung der Grundwerte wie Respekt, Toleranz, Gleichberechtigung und Religionsfreiheit sind für die Integration von besonderer Bedeutung. Die SPD-Innenminister wollen Verbindlichkeit auf beiden Seiten. Die Einhaltung von Rechten und Pflichten ist Grundlage für eine gelungene Integration der Flüchtlinge in die Mehrheitsgesellschaft. Der Pflicht eines jeden, den deutschen Rechtsrahmen zu respektieren, folgt die Aufgabe der staatlichen Ebenen in Bund, Ländern und Kommunen, die Voraussetzungen für eine gelungene Integration zu schaffen. Dazu gehören auch Maßnahmen zur Integration in Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen, beruflicher Bildung und die Verbesserung der Qualität und des Angebotes von Integrationskursen. Für das Zusammenleben vor allem in den Ballungsräumen ist die Aufstockung der Mittel des sozialen Wohnungsbaus unerlässlich. Ein wichtiger Hebel dafür ist das Städtebauförderungsprogramm "Soziale Stadt", das bei einer entsprechenden Ausgestaltung zum Leitprogramm für eine soziale Integration werden kann.
(B) Terrorismus
1. Zusammenarbeit weiter verbessern:
Die Innenminister der SPD sind sich einig darüber, dass im Bereich der Terrorismusbekämpfung die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden weiter intensiviert fortgesetzt werden muss. Hierbei kommt dem Austausch von Informationen eine hohe Bedeutung zu. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzent-rum (GTAZ) hat sich bewährt. Es soll die Informationsweitergabe garantieren, Schnittstellen schließen und die Zusammenarbeit unter Wahrung des Trennungsgebotes verbessern.
Nicht zuletzt die Gefährdungsbewertungen in Hannover anlässlich des Fußballländerspiels oder die Terrorwarnung in der Silvesternacht in München zeigen, dass Erkenntnisse und Fachwissen gebündelt und Informationen schnell und unmittelbar ausgetauscht werden.
2. Prävention voranbringen
Die sozialdemokratischen Innenminister sehen vor allem in der Fortführung der präventiv wirkenden Vorfeldstrategie die elementare Voraussetzung zur Abwehr von Anschlagsereignissen. Dazu gehört neben dem Schutz sensibler Bereiche die Erkennung, Beobachtung und Überwachung von gewaltaffinen Netzwerken sowie der flächendeckend intensive Einsatz von Polizeikräften für anlassunabhängige Fahndungsmaßnahmen; auch auf Bundesautobahnen und Fernverkehrsstraßen.
3. Sicherheitsbehörden stärken
Dies führt zwangsläufig zu einem deutlich erhöhten Informationsaufkommen innerhalb des Verfassungsschutzverbunds und der Sicherheitsbehörden. Vor diesem Hintergrund sehen die A-Innenminister die weitere Stärkung der Sicherheitsbehörden als wichtige Voraussetzung an.
Die aktuelle Sicherheitslage und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus bedingen ein effektives Zusammenwirken und einen intensiven Informationsfluss zwischen ausländischen und inländischen Nachrichtendiensten. Dazu gehört, dass alle relevanten Informationen zwischen den Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern sowie die Informationen ausländischer Nachrichtendienste ausgetauscht und ausgewertet werden müssen. Ziel sollte die Einrichtung einer gemeinsamen europäischen Dienststelle, vergleichbar mit dem GTAZ, sein.
Die Probleme, die sich sowohl im Zusammenhang mit Ausreisen in das Bürgerkriegsgebiet Syrien/Irak als auch mit den von dort nach Deutschland zurückkehrenden Personen stellen, haben sich weiter vergrößert. Dass von diesen Personen eine besondere Gefahr ausgeht, zeigen nicht zuletzt die Anschläge von Paris, da sich zumindest ein Teil der Attentäter und der mutmaßliche Drahtzieher im Vorfeld der Anschläge in Syrien bzw. im Irak aufgehalten haben.
Umso wichtiger wird - neben allgemeinen präventiven Aktivitäten - die konkrete Beratung von Radikalisierten und deren sozialem Umfeld. Das umfasst auch den Aufbau eines Ausstiegsangebots beispielsweise für Syrien-Rückkehrer oder Angehörige der salafistischen Szene. In diesem Kontext kommt der schulischen und außerschulischen Präventionsarbeit der Sicherheitsbehörden eine hohe Bedeutung zu.
C. Hetze und Extremismus die Stirn bieten
Das Bundesverfassungsgericht wird im März das Parteiverbot der NPD verhandeln. Ein Verbot der NPD wäre ein großer Erfolg im Kampf gegen rechte Hetze und den Rechtsextremismus. Rechtes und extremistisches Gedankengut lässt sich jedoch nicht per Gerichtsentscheidung verbieten. Frühzeitige Prävention, umfassende Aufklärung und Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger sind ebenso wichtig.
Dabei gilt es zu differenzieren. Ängste und Sorgen vor der Zukunft sind ernst zu nehmen und dürfen nicht pauschal als rechtsextrem diffamiert werden. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen Sorgen und Ressentiments. Unter dem Deckmantel: „Das wird man doch noch sagen dürfen …“ wird Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhass und teilweise handfester Rassismus geäußert. Dem gilt es sich entgegenzustellen und als Gesellschaft insgesamt zu begegnen.
Neben der NPD gibt es erschreckenderweise zahlreiche andere Parteien, Gruppierungen und Vereinigungen, die sich im rechten oder rechtsextremistischen Milieu bewegen. Genauso gibt es Bewegungen, die linksextremistische oder islamistische Orientierungen besitzen.
Jede Äußerung und Aktion die sich nicht innerhalb der freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegt, werden wir mit den Möglichkeiten der Polizei und der Sicherheitsbehörden entschieden bekämpfen.
Die Innenminister und -senatoren werden keine Form von Hetze, insbesondere auch im vermeintlich anonymen Raum von Sozialen Medien, akzeptieren. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, in dem Gesetze keine Gültigkeit besitzen. Plattformen wie Facebook, Twitter oder Google müssen sich ihrer Verantwortung dabei genauso stellen, wie es andere Medien seit jeher tun müssen. Wir erwarten daher weitere konkrete Schritte der Unternehmen und Anbieter, um Hetze im Internet zu bekämpfen und die Hetzer, gemeinsam mit Polizei und Sicherheitsbehörden, im Rahmen der geltenden Gesetze zu verfolgen und zu bestrafen.