Kriminalität

Politisch motivierte Gewalt stark gesunken - aber mehr rechtsextremistische Delikte

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„Der Rückgang der politisch motivierten Kriminalität ist eine erfreuliche Entwicklung, auf der wir uns aber keinesfalls ausruhen dürfen. Die Zahl der erfassten Straftaten ist gegenüber dem Vorjahr um 18,4 Prozent auf 2.105 stark gesunken“, berichtete Innenminister Reinhold Gall am Dienstag, 30. April 2013, in Stuttgart.

Auch bei den politisch motivierten Gewaltdelikten sei ein deutlicher Rückgang um 17,9 Prozent auf 193 Fälle festzustellen. „Aus politischer Motivation werden oftmals schwere Gewalttaten begangen. Umso mehr freut es mich, dass dank umsichtiger und konsequenter Einsatzführung der Polizei bei Demonstrationen häufig Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten politischen Lagern verhindert werden konnten“, unterstrich der Minister.

In Fortsetzung des positiven Trends der vergangenen Jahre habe sich die Aufklärungsquote 2012 insgesamt um 2,1 Prozentpunkte auf 41,6 Prozent verbessert, bei den Gewaltdelikten sogar um 9,9 Prozentpunkte auf 74,6 Prozent. Reinhold Gall betonte: „Die Bekämpfung der Politisch motivierten Kriminalität zählt zu den Kernaufgaben der polizeilichen Arbeit. Um unsere Schlagkraft noch zu erhöhen, werden wir durch die Polizeistrukturreform den Sachverstand in den zwölf Polizeipräsidien und dem Landeskriminalamt bündeln, ohne örtliche Entwicklungen aus den Augen zu verlieren.“ Immer neue Formen des Terrorismus und die verstärkte Tendenz, aus dem Verborgenen zu agieren, erforderten erhebliche Anstrengungen, um mögliche Gewalttäter zu beobachten.

Entgegen des allgemeinen Rückgangs sei im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität - Rechts ein Anstieg um elf Prozent auf 1.112 Delikte registriert worden. Innenminister Reinhold Gall stellte fest: „Rund die Hälfte der Straftaten im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität waren im Jahr 2012 rechtsmotiviert. Dies zeigt mir, dass wir als Landesregierung mit der entschlossenen Bekämpfung des Rechtsextremismus schon im Koalitionsvertrag einen richtigen Schwerpunkt gesetzt haben.“ Mit Sorge betrachte er die steigenden Fallzahlen. Allerdings könne man daraus auch eine gesteigerte Aufmerksamkeit in der Bevölkerung für rechtsextremistische Umtriebe herauslesen.

Anstieg rechtsextremistischer Straftaten

Schließlich entfalle mit 69,4 Prozent und 772 Fällen ein Großteil der registrierten Delikte auf sogenannte Propagandadelikte wie Hakenkreuzschmierereien oder den Hitlergruß, welche nach § 86a StGB strafbar sind. Dem sich bereits Mitte des Jahres 2012 abzeichnenden Anstieg der rechtsextremistischen Straftaten sei von der Polizei frühzeitig mit Handlungs- und Präventionskonzepten entgegengesteuert worden. Als Beispiel ließen sich die Erhöhung der Kontrollintensität sowie verstärkte Aufklärungs- und Präventionsarbeit an örtlichen Brennpunkten nennen.

Während sich die fremdenfeindlich motivierten Straftaten mit 254 Delikten auf dem Niveau des Vorjahres (255 Fälle) hielten, sei bei den antisemitisch motivierten Straftaten ein Rückgang um 38 Fälle auf 91 Delikte festzustellen. Die Gewaltdelikte im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität - Rechts stiegen um fünf auf 40 Fälle. Dabei habe sich die Aufklärungsquote um 4,3 Prozentpunkte auf beachtliche 90 Prozent gesteigert.

Erleichtert nehme Gall den anhaltenden Rückgang rechtsextremistischer Musikveranstaltungen zur Kenntnis. Mit nur acht festgestellten rechten Konzerten sei der niedrigste Stand seit fünf Jahren erreicht. Dies liege insbesondere daran, dass dem rechten Spektrum immer weniger Veranstaltungsörtlichkeiten zur Verfügung stünden.

„Ich will nicht verschweigen, dass auch die Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg aus dem Bekanntwerden der schockierenden und verabscheuungswürdigen Morde, die dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zugerechnet werden, Lehren ziehen mussten“, sagte der Minister. Zugleich wies er darauf hin, dass er flankierend zum Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts polizeiliche Strukturermittlungen zum möglichen Umfeld des NSU in Baden-Württemberg angeordnet habe. Dafür sei beim Landeskriminalamt eigens die Ermittlungsgruppe (EG) Umfeld eingerichtet worden.

Auch andere Behörden hätten ihre Aktivitäten ausgeweitet. Als Beispiel nannte der Minister die Aufbewahrungskontrollen der Waffenbehörden bei Waffenbesitzern, welche von Polizei und Verfassungsschutz der rechten Szene zugerechnet werden. Zudem bestehe seit Anfang September 2012 die Möglichkeit, über das Internet anonyme Hinweise auf potenzielle rechtsmotivierte Gewalttaten oder Gewalttäter zu geben und mit der Polizei anonym in Kontakt zu bleiben.

Um auch bei der täglichen polizeilichen Arbeit das behördeninterne Problembewusstsein für rechtsextremistisch motivierte Kriminalität und Extremismus weiter zu steigern, würden alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Land in wenigen Tagen mit einer aufwendig erstellten elektronischen Fortbildungsanwendung auf der Bildungs- und Wissensplattform POLIZEI-ONLINE beginnen.

Die rechtsmotivierten Propagandadelikte seien oftmals von Jugendlichen oder Heranwachsenden begangen worden. „Hier reicht die bloße Strafverfolgung nicht aus. Dem entgegenzuwirken stellt vielmehr eine permanente gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar“, hob Minister Gall hervor. Daher würden erfolgreiche Präventionsprogramme gegen Rechtsextremismus, wie das Medienpaket „Wölfe im Schafspelz“ oder das Projekt „Team meX - Mit Zivilcourage gegen Rechtsextremismus“, auch weiterhin gezielt an Schulen eingesetzt.

Programm „Ausstiegshilfen Rechtsextremismus“

Nicht zuletzt sei auch die seit 2001 im Rahmen des Programms „Ausstiegshilfen Rechtsextremismus“ bestehende Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus (BIG REX) des Landeskriminalamts personell verstärkt worden. Ihre Bilanz: In Baden-Württemberg sind inzwischen über 470 Personen mit Hilfe der Polizei aus der rechten Szene ausgestiegen.

Dass trotz der Zunahme der Straftaten im Bereich der politisch rechtsmotivierten Kriminalität ein Rückgang der gesamten Politisch motivierten Kriminalität zu verzeichnen war, sei den deutlichen Rückgängen in den übrigen Bereichen zuzuschreiben.

So sei bei der Politisch motivierten Kriminalität - Links gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang um 26,4 Prozent auf 449 Delikte und insbesondere der Gewaltdelikte um 25 auf 66 Straftaten festzustellen. Die Aufklärungsquote sei um 22,6 Prozentpunkte auf 74,2 Prozent angestiegen. Ursächlich dafür sei vor allem, dass Großereignisse mit hohem Konfliktpotenzial für die linksextremistische Szene fehlten, sowie die konsequente Trennung von Rechten und Linken bei Demonstrationen. Dennoch sei die hohe Gewaltbereitschaft in Teilen der linksextremistischen Szene nicht zu unterschätzen. Als alarmierendes Beispiel nannte der Minister die Ausschreitungen gegen Polizeibeamte bei einer Störaktion von Linksextremisten gegen eine rechte Kundgebung in Göppingen am 6. Oktober 2012.

Ein erheblicher Rückgang der Straftaten sei 2012 auch bei der Politisch motivierten Ausländerkriminalität festzustellen, beispielsweise im Zusammenhang mit der verbotenen kurdischen PKK. Die Gesamtbilanz: ein Minus von 16,2 Prozent auf 166 Straftaten, bei den Gewaltdelikten eine Abnahme um zehn auf 32 Fälle. Zwar habe die allgemeine Aufklärungsquote um 21 Prozentpunkte auf 63,9 Prozent gesteigert werden können, bei den Gewaltdelikten sei sie jedoch von 64,3 auf 50 Prozent geschrumpft. Einige der zunächst unbekannten Gewalttäter bei den Ausschreitungen beim 20. Internationalen Kurdischen Kulturfestival am 8. September 2012 in Mannheim und dem im Vorfeld von Straßburg bis Mannheim führenden Kurdischen Jugendmarsch konnten aber zwischenzeitlich ermittelt werden. Gall kündigte an: „Wir werden es nicht zulassen, dass sich politisch motivierte Gewalttäter unentdeckt zurückziehen. Wir werden jedem Hinweis nachgehen, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.“

Islamistischer Terrorismus bleibt Herausfoderung

Zudem seien im vergangenen Jahr 13 Delikte mit islamistischer Motivation gezählt worden. 2011 wären es noch 17 Fälle gewesen. Dieser Trend dürfe aber nicht über die wahre Bedeutung hinwegtäuschen. Der islamistische Terrorismus stelle bei der Bekämpfung der Politisch motivierten Kriminalität nach wie vor die größte Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. „Wir haben es heute nicht mehr nur mit klar zu benennenden Gruppierungen, sondern auch mit sogenannten Schläferzellen oder Einzeltätern zu tun, die sich selbst über das Internet radikalisieren und kurz entschlossen schlimmste Gewaltverbrechen begehen“, unterstrich Gall. Dies zeige auch der Anschlag in Boston/USA, obgleich ein islamistischer Hintergrund dort noch nicht eindeutig belegt sei.

Die Festnahmen von vier Personen des salafistisch-jihadistischen Spektrums in Düsseldorf am 13. März 2013, die mutmaßlich ein Attentat auf Mitglieder der rechten „Bürgerbewegung PRO NRW“ planten, belegten die nach wie vor enorme Gefahr, die von islamistischen Terroristen auch in Deutschland ausgehe. Um dieser zu begegnen, setzten die Sicherheitsbehörden auf hohe Schutzvorkehrungen und intensive Ermittlungen mit gezielter Beobachtung potenzieller Täter. Baden-Württemberg nehme mit der behördenübergreifenden Arbeitsgruppe „Aufenthaltsbeendigung als gefährlich einzustufender Ausländer“ des Innenministeriums hier ansässige Extremisten besonders in den Blick. So seien zuletzt ein radikal-islamistischer Salafist Ende November 2012 aus Baden-Württemberg in die Türkei und diesen März ein illegal eingereister islamistisch radikalisierter Bosnier in sein Heimatland abgeschoben worden.

Das Gros der keinem Bereich zuzuordnenden politisch motivierten Straftaten entfalle mit 231 Fällen auf Stuttgart und habe maßgeblich im Zusammenhang mit dem Projekt Stuttgart 21 gestanden.

„Um das Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren, ist es wichtig, dass wir uns nicht in eine Richtung verrennen, sondern stets über den Tellerrand hinausschauen“, stellt der Minister fest. So sei die zur Bekämpfung des Rechtsextremismus eingerichtete Gemeinsame Informations- und Analysestelle (GIAS) von Landeskriminalamt und Landesamt für Verfassungsschutz bereits im Oktober 2012 auf alle Bereiche der Politisch motivierten Kriminalität bzw. des Extremismus erweitert worden.

Dadurch würden Kommunikationswege verkürzt, frühzeitig phänomenbezogene Gefährdungslagen im Land erkannt und operative Maßnahmen abgestimmt oder angestoßen. Minister Gall betonte: „Es wäre fahrlässig gewesen, ein solch wertvolles Instrument nicht auch bei der Bekämpfung des Politisch motivierten Ausländerextremismus, des islamistischen Terrorismus sowie des Linksextremismus anzuwenden.“ Baden-Württemberg habe mit diesem ganzheitlichen Ansatz bundesweit die Vorreiterrolle eingenommen.

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