Verfassungsschutz

Verfassungsschutzbericht 2019 vorgestellt

Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2019

Innenminister Thomas Strobl hat den Verfassungsschutzbericht 2019 vorgestellt. Als größte Gefahr hat sich im Jahr 2019 der Rechtsextremismus erwiesen. Die Bedrohung durch den Islamistischen Extremismus bleibt weiter bestehen und der Linksextremismus ist am Erstarken.

„Unser Leben in Freiheit ist zunehmenden Belastungen und Gefahren ausgesetzt. Größte Bedrohung ist der Rechtsextremismus. Mit dem Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019 und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke am 2. Juni 2019 hat sich eine Entwicklung konkretisiert, vor der die Verfassungsschutzbehörden und ich selber seit Jahren warnen. Freilich bleibt die Bedrohung durch den Islamistischen Terror weiter bestehen und der Linksextremismus ist am Erstarken“, sagte der Stv. Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl. Gemeinsam mit der Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz Beate Bube stellte er den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019 vor.

Große Gefahren durch den Rechtsextremismus

„Der Verfassungsschutz verzeichnet eine stetige Zunahme rechtsextremistischer und rechtsterroristischer Gefährdungssachverhalte, Verdachtsfälle und Radikalisierungsprozesse bis hin zur Bereitschaft zur Begehung von Tötungsdelikten. Das Internet wird zunehmend für rassistische Hetze, Hasskommentare und Gewaltaufrufe missbraucht. Im Bereich des Rechtsextremismus wurde 2019 in drastischer Weise deutlich, welche großen Gefahren von rechtsextremistisch motivierter Gewalt bis hin zum Rechtsterrorismus ausgehen“, betonte Innenminister Thomas Strobl. 
 
Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde am 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen/Hessen mit einem Kopfschuss ermordet. Am 9. Oktober 2019 forderte der bewaffnete Angriff eines mutmaßlichen Rechtsextremisten auf eine Synagoge und einen Imbiss in Halle an der Saale zwei Todesopfer, zwei weitere Personen wurden durch Schüsse schwer verletzt. In diesem Jahr erschoss am 19. Februar 2020 nach bisherigem Ermittlungsstand ein 43-Jähriger in der Innenstadt von Hanau/Hessen acht Menschen. Zudem tötete er an seiner Wohnanschrift seine Mutter. In einem Schriftstück, das bei ihm nach der Tat aufgefunden wurde, kommen rassistische und antisemitische Einstellungen zum Ausdruck. 
 
Innenminister Thomas Strobl teilte auf Grundlage des aktuellen Verfassungsschutzberichts mit: „Die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Baden-Württemberg stieg 2019 auf ca. 1.900. Im Jahr 2018 waren es ca. 1.700. Der Anstieg ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass in die Gesamtsumme erstmals ein „Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien“ einfließt, welches die Angehörigen der AfD-Teilstrukturen „Der Flügel“ und „Junge Alternative“ umfasst. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten stieg 2019 auf ca. 790; in den letzten beiden Jahren lag die Zahl noch bei ca. 770.“
 
„Die Anschlussfähigkeit von rechtsextremen Inhalten an die bürgerliche Mitte war sicher nie so groß wie in den Jahren seit 2015. Nicht erst seit den Vorfällen in Kassel und Halle verzeichnen die Verfassungsschutzbehörden eine stetige Zunahme an rechtsextremistischen oder rechtsterroristischen Gefährdungssachverhalten. Auch zunehmende Radikalisierungsprozesse in militanten Kleinstgruppen oder bei Einzeltätern sind zu beobachten – diese reichen bis zur Bereitschaft zur Begehung von Tötungsdelikten. Wir nehmen die Gefahren sehr ernst und reagieren darauf: Wir statten unser Landesamt für Verfassungsschutz noch besser aus, so dass es seiner Funktion als Frühwarnsystem der Demokratie optimal gerecht werden kann. Ich freue mich besonders, dass wir dank des Landtags von Baden-Württemberg mit dem Sonderprogramm Rechtsextremismus das Landesamt für Verfassungsschutz aktuell stärken. So wurde der Verfassungsschutz mit 25 neuen Stellen Anfang des Jahres ausgestattet. Darüber hinaus wird das Landesamt in den Jahren 2020 und 2021 mit jeweils drei Neustellen gestärkt. Auch organisatorisch werden wir das Landesamt für Verfassungsschutz stärken: durch den Aufbau einer eigenständigen Abteilung ‚Rechtsextremismus und -terrorismus, Reichsbürger und Selbstverwalter‘. Schwerpunkt dieser neuen Abteilung wird der gewaltorientierte Rechtsextremismus sein. Und auch das Milieu der ‚Reichsbürger und Selbstverwalter‘, islamfeindliche Bestrebungen wie die ‚Identitäre Bewegung Deutschland‘ sowie die AfD-Teilorganisationen ‚Junge Alternative‘ und ‚Der Flügel‘ bleiben so noch besser im Fokus“, erklärte Innenminister Thomas Strobl.

Reichsbürger und Selbstverwalter

Der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ gehören aktuell rund 3.200 Personen in Baden-Württemberg an, von denen sich etwa drei Prozent auch dem Rechtsextremismus zurechnen lassen. „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ treten meist als Einzelpersonen in Erscheinung oder organisieren sich je nach spezifischer ideologischer Ausrichtung in kleinen Gruppierungen. Nach wie vor gehen zahlreiche Hinweise von Behörden zu „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ ein, die das Landesamt für Verfassungsschutz bearbeitet. Priorität in der Bearbeitung haben dabei weiterhin Personen mit waffenrechtlichen Erlaubnissen oder Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. 
 
„Baden-Württemberg geht konsequent gegen Reichsbürger vor. Dabei ist mir die Entfernung von Waffen aus den Händen von Extremisten ein persönliches Anliegen: Die Waffenbehörden in Baden-Württemberg haben Reichsbürgern seit Anfang 2017 die waffenrechtliche Erlaubnis von 346 Waffen widerrufen. Um die Öffentlichkeit über die Szene zu informieren und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst eine Hilfestellung im Umgang mit Szene-Angehörigen zu geben, hat das Landesamt für Verfassungsschutz im September 2019 eine Broschüre über ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ in Baden-Württemberg veröffentlicht“, so Minister Thomas Strobl.

Linksextremismus – deutlicher Anstieg der Straftaten

Im Bereich des Linksextremismus waren in Baden-Württemberg 2019 insgesamt 486 linksextremistisch motivierte Straftaten zu verzeichnen – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Jahr 2018 mit insgesamt 334 Straftaten. Ein erheblicher Teil davon waren typische Delikte in Wahlkampfzeiten wie Beschädigungen oder Zerstörungen von Wahlplakaten. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten verdoppelte sich nahezu auf 112 Delikte gegenüber 60 Delikten im Jahr 2018. 

Die Gesamtzahl der Linksextremisten in Baden-Württemberg beträgt 2.750 Personen; 2018 waren es insgesamt noch 2.950. Davon sind 850 Personen dem gewaltorientierten Spektrum zuzurechnen.

Während gewaltsame Zusammenstöße zwischen Links- und Rechtsextremisten bei Demonstrationen im Jahr 2019 weitgehend ausblieben, verlegte sich die gewaltorientierte Szene auf gezielte Attacken gegen Wahlkandidaten vor allem der AfD. Es gab Sachbeschädigungen und Farbschmierereien an Veranstaltungsorten, Farbanschläge auf Wohnhäuser oder Angriffe auf das Eigentum von AfD-Politikern. 

„Auch die Polizei wurde wiederholt zum Ziel gewaltsamer Attacken. Gewalt gegen Polizeibeamte ist absolut inakzeptabel. Gewalt gegen Personen, Gewalt gegen Polizeibeamte dulden wir nicht. Wir werden hier mit aller Konsequenz handeln. Unsere Polizei hat Respekt und Dank verdient, nicht Hass und Gewalt. Die Polizei sorgt für Recht und Ordnung, sie setzt die Regeln durch, die wir uns in dieser Gesellschaft gegeben haben. Deshalb ist ein Angriff auf eine Polizistin oder einen Polizisten wie ein Angriff auf uns alle“, unterstrich Minister Thomas Strobl.

Bedrohung durch den Islamistischen Extremismus besteht weiter

Die Zahl der Islamisten ist in Baden-Württemberg im Jahr 2019 erneut gestiegen. Zum Jahresende lag sie bei 4.105; im Jahr 2018 lag die Zahl bei 3.860. Am stärksten ist die Zahl der Salafisten gestiegen, die aktuell bei 1.200 liegt und im Jahr 2018 bei 950 lag. Diese Entwicklung ist vor allem auf die Zunahme von Hinweisen auf einzelne salafistische Akteure zurückzuführen.
 
Nach der faktischen Kapitulation der verbliebenen Kämpfer sowie dem Tod ihres Anführers Al-Baghdadi endete die Territorialhoheit des ehemaligen „Islamischen Staates“ (IS) im Jahr 2019. Zentrale IS-Propagandastrukturen sind allerdings immer noch vorhanden, einschlägige Publikationen online weiterhin verfügbar.
 
„Die größte Gefahr weltweit geht von Einzelattentätern in psychischen Ausnahmesituationen aus, die sich von einer vermeintlichen, selbst kommunizierten IS-Nähe mediale Aufmerksamkeit versprechen. Deshalb gilt: In Deutschland besteht nach wie vor eine hohe Gefährdung durch die genannten Einzelakteure, die jederzeit auch in Gemeinden außerhalb von symbolträchtigen Großstädten zuschlagen könnten“, erklärte Innenminister Thomas Strobl.

Sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern

Die seit Jahren angespannte Lage in der Türkei hat auch weiterhin direkte Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland und Baden-Württemberg. Anfang Oktober 2019 marschierte das türkische Militär im Rahmen der Operation „Friedensquelle“ im mehrheitlich kurdisch besiedelten Nordsyrien ein. Wie bereits die zwei vorausgegangenen Militäroperationen in Nordsyrien löste auch diese Offensive eine Demonstrationswelle aus, sowohl unter den Anhängern der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK), als auch unter türkischen und deutschen Linksextremisten in Baden-Württemberg. Türkisch-rechtsextremistische Organisationen befürworteten dagegen den Einmarsch, hielten sich jedoch mit öffentlichen Aktionen zurück.
 
Die zahlreichen Demonstrationen gegen das erneute militärische Vorgehen der Türkei in kurdischen Siedlungsgebieten verliefen zum Teil gewalttätig. Dies schlug sich deutlich in der Anzahl der extremistischen Gewalttaten im Bereich Politisch Motivierte Kriminalität – ausländische Ideologie – nieder. Sie stieg gegenüber dem Jahr 2018 mit 51 Delikten auf 124 Delikte im Jahr 2019 an.

Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz

Deutschland und Baden-Württemberg stehen im Fokus ausländischer Nachrichtendienste. Die Cyberabwehr des Landesamts für Verfassungsschutz konnte 2019 eine weitere Zunahme staatlich gesteuerter Cyberangriffe beobachten. Die fortschreitende Digitalisierung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eröffnet einerseits neue Chancen, birgt jedoch andererseits die wachsende Gefahr von Cyberangriffen. Staatliche Akteure wie auch solche aus dem kriminellen Milieu bauen ihre Angriffsfähigkeiten stetig weiter aus, um ausgewählte Ziele mit Erfolg anzugreifen.
 
„Hauptziele der nachrichtendienstlich gesteuerten Cyberangriffe waren im vergangenen Jahr vor allem die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Bei den Angreifern handelt es sich um professionelle Akteure, die staatlich beauftragt oder zumindest gefördert werden. Sie verfügen über die nötigen Ressourcen und Mittel, um ausgewählte Ziele erfolgreich anzugreifen. Cybersicherheit ist daher ein Schwerpunkt der Landesregierung. Bei der Polizei verfügt Baden-Württemberg bereits flächendeckend über spezialisierte Organisationseinheiten zur Bekämpfung von Cybercrime. Mit der Cyberwehr haben wir eine digitale Feuerwehr, eine zentrale Anlaufstelle für Unternehmen eingerichtet, die wir nach und nach ausbauen. Parallel dazu erarbeitet das Innenministerium derzeit die gesetzlichen, administrativen und strukturellen Vorbereitungen für den Start der Cybersicherheitsagentur Baden-Württemberg. Für ihren Aufbau sind im Landeshaushalt für 2020/21 insgesamt 13 Mio. Euro vor allem für 83 Personalstellen vorgesehen“, richtet Minister Thomas Strobl den Blick abschließend in die Zukunft.

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Verfassungsschutzbericht 2019 (PDF)

Hintergrundinformationen zu vielen Themen sind auf der Homepage des Landesamts für Verfassungsschutz zu finden.

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