„Der Verfassungsschutzbericht des Jahres 2024 zeigt: Wir leben in angespannten Zeiten. Wir erleben eine weltpolitische Zeitenwende. Russland zeigt sich aggressiv, Deutschland und Europa müssen sicherheitspolitisch souveräner denn je werden. Die Gefahren durch Spionage, Sabotage und Cyberangriffe sind noch einmal größer geworden. Daneben gefährden neue Formen der Einflussnahme zunehmend unser Zusammenleben. Und mit dem auch im Jahr 2024 andauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erreichte die von Russland gesteuerte Desinformation einen neuen Höchststand. Diese sogenannten hybriden Bedrohungen sind es auch, die uns sicherheitspolitisch enorm fordern und die uns gesellschaftspolitisch vor große Herausforderungen stellen. Denn sie haben ein einziges Ziel: Unsere Demokratie massiv zu destabilisieren. Daneben gibt es weitere Bedrohungen für unsere Freiheit und für unsere Demokratie: Auch die Entwicklungen im Bereich Islamismus, Rechtsextremismus und Linksextremismus sowie der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene fordern nach wie vor unsere volle Aufmerksamkeit und unser entschlossenes Handeln“, sagte Innenminister Thomas Strobl anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2024 am 26. Juni 2025 in Stuttgart. Die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz Beate Bube betonte dabei: „Die aktuelle Sicherheitslage ist angespannt – aber die Feinde unserer Demokratie sind nicht in der Mehrheit. Unser Rechtsstaat ist wehrhaft und kann sich verteidigen. Die Sicherheitsbehörden sind handlungsfähig.“
Hybride Bedrohungen, Sabotage und Desinformation
Im Jahr 2024 stiegen die Fälle von russischer Sabotage in Europa auf einen neuen Höchststand. In Deutschland zeigen die bekannt gewordenen Hinweise auf Attentatspläne gegen den Vorstandsvorsitzenden eines deutschen Rüstungskonzerns oder die gescheiterten Brandanschläge mittels Paketsendungen, dass sich die Lage verschärft hat. Hinzu kommt der Einsatz sogenannter „Low-Level-Agents“ in russischem Auftrag. In diesem Zusammenhang wurde Mitte Mai 2025 auch in Baden-Württemberg eine Person festgenommen.
Vor allem Russland, China und die Islamische Republik Iran setzen hybride Maßnahmen wie Sabotage, Einflussnahme und Staatsterrorismus ein, um Deutschland und Baden-Württemberg zu schaden. Baden-Württemberg bleibt wegen seiner großen Bedeutung für die Wirtschaft und Wissenschaft und der Präsenz mehrerer wichtiger Militäreinrichtungen als sogenannte Host-Nation im Fokus ausländischer Nachrichtendienste. Daneben zielen russische Sabotageaktivitäten darauf ab, Ängste in der Bevölkerung zu schüren, zu destabilisieren und das staatliche Schutzversprechen der demokratischen Regierungen in Zweifel zu ziehen.
„Diese Bedrohungen verlangen von uns neue Formen der Zusammenarbeit. Dem Verfassungsschutz kommt in diesen Zeiten eine besondere Bedeutung zu: Seine Aufgabe besteht darin, aufzuklären, gegen Desinformation vorzugehen und unsere Gesellschaft gegen solche Destabilisierungsversuche abzuhärten. Hier müssen wir entschlossen handeln – und das tun wir“, betonte Innenminister Thomas Strobl. Um Desinformation und Propaganda wirksamer zu bekämpfen, hat die Landesregierung eine „Taskforce Desinformation“ für Baden-Württemberg gegründet. Diese wird vom Innenministerium in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg geleitet und koordiniert die Gegenmaßnahmen der Landesregierung in diesem Bereich.
Cyberwar und Cyberabwehr
„Der Verfassungsschutzbericht 2024 zeigt uns deutlich: Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung wird nicht nur von Extremisten im Inneren bedroht – sie steht auch zunehmend unter Druck durch digitale Angriffe von außen. Die geopolitische Tektonik hat auch die Cyberabwehr des Landesamtes für Verfassungsschutz im Jahr 2024 stark gefordert“, so Innenminister Thomas Strobl zur aktuellen Lage bei Cyberangriffen. Die Angriffe, die im vergangenen Jahr von der Cyberabwehr des Landesamtes für Verfassungsschutz auf Ziele im Land festgestellt wurden, gehen zu großen Teilen auf Gruppierungen zurück, die von den Nachrichtendiensten Russlands und Chinas entweder gesteuert oder wenigstens maßgeblich beeinflusst werden.
Insgesamt besteht eine hohe abstrakte Gefährdungssituation für Cyberspionage- und -Sabotageangriffe mit Bezug zu staatlichen, russischen Stellen. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass Russland zunehmend versucht, Deutschland als Mitglied der EU und der NATO auf unterschiedlichen Ebenen zu destabilisieren. Diese abstrakte Gefährdung hat sich mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 massiv verschärft.
Gruppierungen, die von chinesischen Nachrichtendiensten gesteuert werden, versuchen dagegen vor allem unveröffentlichte Forschungsergebnisse und Know-how aus dem Bereich der Hochtechnologie zu erlangen. Die Volksrepublik sieht den Einsatz von Cyberspionage als legitimes Mittel, um die Technologieführerschaft gegenüber westlichen Staaten zu erlangen, sodass auch künftig nahezu sicher weitere Cyberangriffe mit staatlichem chinesischem Hintergrund auf Ziele in Baden-Württemberg erfolgen werden.
Islamismus
In den vergangenen Jahren hat das Landesamt für Verfassungsschutz immer mehr Radikalisierungen bei Heranwachsenden beobachtet. Häufig sind die Geburtenjahrgänge 2004 bis 2011 betroffen. Die radikalisierten Jugendlichen sind meist noch schulpflichtig und in sozialen Medien aktiv. Teilweise sind sie deutschlandweit vernetzt. Die Fälle weisen häufig einen Bezug zum Jihadismus auf, führen allerdings nicht zwangsläufig zur Planung oder Anwendung religiös legitimierter Gewalt. Vereinzelt äußern die radikalisierten Minderjährigen online Anschlagsphantasien auf Menschenansammlungen, darüber hinaus gab es einzelne Jugendliche, die Ausreisen in Regionen planten, die von jihadistischen Organisationen wie dem sogenannten Islamischen Staat kontrolliert werden. Trotz dieser alarmierenden Tendenzen (vielleicht besser: Entwicklungen) bleibt festzuhalten: Die große Mehrheit der salafistischen Szene ist über 18 Jahre alt. Minderjährige und junge Erwachsene stellen zwar eine wachsende, aber nach wie vor zahlenmäßig kleinere Gruppe dar. „Gleichwohl ist ihre Rolle nicht zu unterschätzen – denn Radikalisierung in jungen Jahren kann zur langfristigen ideologischen Verfestigung führen“, so Innenminister Thomas Strobl.
Die insgesamte Gefährdungslage durch den Jihadismus blieb auch im Jahr 2024 hoch: Der sogenannte Islamische Staat ruft in seiner Propaganda regelmäßig Anhänger und Sympathisanten zu Anschlägen auf. Vor allem im Vorfeld der Fußballeuropameisterschaft in Deutschland und den Olympischen Spielen in Frankreich im Sommer 2024 veröffentlichte der IS wiederholt seine Anschlagsdrohungen. Auch in Baden-Württemberg gab es konkrete Anschlagsvorhaben. Im April 2024 wurde ein 16-Jähriger in Ostfildern/Landkreis Esslingen wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verhaftet. Der Jugendliche soll sich mit drei weiteren Jugendlichen aus Nordrhein-Westfalen im Internet dazu verabredet haben, einen islamistisch motivierten Anschlag zu verüben. Im Februar 2025 wurde der dann 17-Jährige vom Landgericht Stuttgart zu zwei Jahren Jugendhaft auf Bewährung verurteilt.
Am 31. Mai 2024 griff ein mit einem Messer bewaffneter Mann in der Mannheimer Innenstadt eine Veranstaltung der Gruppe „Bürgerbewegung Pax Europa“ an. Bei dem Anschlag wurden sechs Personen teilweise lebensbedrohlich verletzt, der Polizeibeamte Rouven Laur erlag seinen Verletzungen. Der aus Afghanistan stammende Angreifer soll durch Bilder aus dem Gazastreifen emotionalisiert gewesen sein und sich in der Folge über „Telegram“ radikalisiert haben. Der Mordprozess gegen ihn vor dem Oberlandesgericht Stuttgart begann im März 2025.
Das islamistische Personenpotenzial in Baden-Württemberg beträgt 4.020 Personen und liegt damit auf dem Niveau von 2023 (4.163). Der salafistischen Szene wurden 1.350 Personen zugerechnet und damit etwas mehr als zuletzt (2023: 1.300).
Rechtsextremismus
Die Zahl der Rechtsextremisten in Baden-Württemberg ist 2024 im Vergleich zum Vorjahr angestiegen und beläuft sich nun auf rund 3.140 Personen (2023: 2.460). Ausschlaggebend für den Anstieg ist ein Zuwachs an Extremisten innerhalb der AfD BW. Gleichzeitig entfaltete die rechtsextremistische Szene auch für Jugendliche Attraktivität – eine Entwicklung, die sich im Jahr 2024 noch einmal verstärkt hat. Erkennbar ist das an einer Zunahme von öffentlichen rechtsextremistischen Veranstaltungen und an einer Reihe von Neugründungen rechtsextremistischer Jugendorganisationen bundesweit und im Land. So baute sich beispielsweise der Stützpunkt „Baden-Württemberg“ der „Nationalrevolutionären Jugend“, der Jugendorganisation der neonazistischen Kleinpartei „DER DRITTE WEG“, auf. Zudem gründete sich die neonazistische und gewaltbereite Gruppierung „Unitas Germanica“, die überwiegend aus jungen Erwachsenen besteht. Thematischer Dreh- und Angelpunkt der rechtsextremistischen Jugendgruppierungen sind die Themen Migration und eine Agitation gegen queere Menschen und die „LGBTQIA+“-Community.
Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass es in Baden-Württemberg im Jahr 2024 kein rechtsextremistisches Konzert gab. „Durch ein kluges Zusammenwirken der Sicherheitsbehörden konnten wir verhindern, dass braune Töne unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit verbreitet wurden“, sagte Innenminister Thomas Strobl.
Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten in Baden-Württemberg stagnierte dagegen und liegt weiter bei rund 800. Eine bedenkliche Entwicklung zeichnet sich bei den rechtsextremistisch motivierten Straftaten ab: War die Zahl bereits 2023 auf 1.877 Fälle angewachsen, so stieg sie 2024 noch weiter an, auf nunmehr 2.569 (2022: 1.410). Die Zunahme ist im Wesentlichen auf einen Anstieg der Propagandadelikte zurückzuführen. Aber auch die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten stieg 2024 auf 54 Fälle an, 2023 hatte sie noch bei 50 gelegen (2022: 34). „Das ist alarmierend. Rechtsextremismus ist kein Randphänomen. Es ist ein reales Risiko für die öffentliche Sicherheit“, ordnete Innenminister Thomas Strobl die Entwicklung ein.
Linksextremismus
Im Jahr 2024 verzeichneten die Sicherheitsbehörden 342 linksextremistisch motivierte Straftaten, etwas mehr als im Vorjahr (2023: 311). Auch die Zahl linkextremistisch motivierter Gewalttaten stieg leicht an, auf 34 (2023: 28). Grund für diese Entwicklungen waren unter anderem die Europa- und Kommunalwahlen in 2024 – hier kam es zum Beispiel zu vielen Sachbeschädigungen. Die meisten linksextremistischen Proteste im Kontext dieser Wahlen richteten sich erneut gegen Veranstaltungen und Mitglieder der AfD. Dabei wurden die Aktionen immer häufiger und intensiver; überwiegend waren „Offene Antifaschistische Treffen“ dafür verantwortlich. Schwerpunkte lagen dabei auf der Störung von Wahlkampfveranstaltungen (unter anderem in Heidelberg und Rottweil) und Wahlkampfständen der Partei (etwa in Pforzheim und Schorndorf). Außerdem kam es zu mehreren linksextremistisch motivierten Sachbeschädigungen mit roter Farbe an AfD-Veranstaltungsorten.
Insgesamt hat sich die Dynamik zwischen Linksextremisten und vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsextremisten zuletzt verschärft: 2024 kam es zu mehreren körperlichen Auseinandersetzungen am Rand von Wahlkampfständen, so etwa im Mai 2024 in Stuttgart und in Schorndorf/Rems-Murr-Kreis. Auseinandersetzungen ereigneten sich auch in der Nähe von linksextremistischen Szenetreffpunkten, etwa im Oktober 2024 unweit des Freiburger „Kulturtreffs in Selbstverwaltung“.
Das linksextremistische Personenpotential blieb 2024 mit 2.700 in etwa gleich (2023: 2.650). Die Anzahl der gewaltorientierten Linksextremisten sank dabei leicht von 880 im Jahr 2023 auf nun 850 in 2024.
Reichsbürger und Selbstverwalter
Die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ ist auch im vergangenen Jahr weiter angewachsen. Inzwischen geht das Landesamt für Verfassungsschutz von rund 4.200 solcher Extremisten im Land aus (2023: 4.000, 2022: 3.800). Zudem drängten „Reichsbürger“ im Jahr 2024 verstärkt in die Öffentlichkeit: Unter der Bezeichnung „Das große Treffen der 25+1 Bundesstaaten“ organisierten sie bundesweit zwei Demonstrationen in Gera und München, bei denen mehrere hundert Teilnehmer ihre Ideologie mit Fahnen und Transparenten offen zur Schau stellten. Das Landesamt für Verfassungsschutz stuft etwa zehn Prozent der bekannten „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in Baden-Württemberg als gewaltorientiert ein.
Am 29. April 2024 begann vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess gegen neun Anhänger der „Reichsbürger“-Vereinigung um Prinz Reuss, acht von ihnen stammen aus Baden-Württemberg. Die Vorwürfe lauten unter anderem Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und versuchter Mord. Zu letzterem ist ein „Reichsbürger“ angeklagt, der am 22. März 2023 in Reutlingen bei einer Durchsuchung in Verbindung mit dem Netzwerk um Prinz Reuss auf einen SEK-Beamten schoss.
Beginn der Beobachtung von säkularen propalästinensischen Bestrebungen
Seit August 2024 beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz die Gruppierungen „Palästina Spricht“ in Stuttgart und Freiburg sowie das „Palästinakomitee Stuttgart e.V.“ (PAKO) als Verdachtsfälle. Gemeinsamer Nenner dieses säkularen propalästinensischen Extremismus sind Inhalte, die den Staat Israel herabwürdigen und dessen Existenzrecht zum Teil aberkennen. Gemeinsames Ziel der Gruppierungen ist ein Palästinensischer Staat vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer, was die Palästinensischen Autonomiegebiete und auch das aktuelle Staatsgebiet Israels umfasst. Um ihr Ziel zu erreichen, versuchen sie, den Diskurs um den Israel-Palästina-Konflikt zu beeinflussen. Dafür nutzen sie vorwiegend die sozialen Medien und organisieren zahlreiche Demonstrationen. Die Gruppierungen richten sich mit ihren Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker. Zudem gefährden sie die auswärtigen Belange Deutschlands.
Den Verfassungsschutzbericht 2024 finden Sie hier.
Hintergrundinformationen zu vielen Themen sind auf der Homepage des Landesamtes für Verfassungsschutz unter www.verfassungsschutz-bw.de zu finden.