Die SPD Baden-Württemberg hat am 12. Februar 2019 beim Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration einen Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens für gebührenfreie Kitas eingereicht. Das Innenministerium musste prüfen, ob der Antrag, ein Volksbegehren zu diesem Thema durchzuführen, rechtlich überhaupt zulässig ist. Das Innenministerium hatte für eine fundierte Entscheidung ergänzend zur hausinternen Expertise den renommierten Juristen Dr. Winfried Porsch (von der Kanzlei Dolde Mayen & Partner) um eine Begutachtung gebeten. Auf dieser Grundlage kann dem Antrag nicht stattgegeben werden.
„Die Frage, die uns politisch alle beschäftigt, die eine Antwort in der Sache verlangt, ist die Frage, wie wir Familien optimal unterstützen. Darum ging es bei der Entscheidung über den Antrag der SPD, den mein Haus zu prüfen hatte, aber nicht. Hier geht es ausschließlich um die konkrete Rechtsfrage: Ist der Antrag der SPD rechtlich zulässig oder nicht? Die Juristen, die sich mit dem Thema befasst haben, kommen zum Ergebnis, dass der Antrag nicht zulässig ist. Dem ist zu folgen“, so Innenminister Thomas Strobl.
Zu den Gründen im Einzelnen
Erstens finden nach der Landesverfassung keine Volksbegehren und Volksabstimmungen über das Staatshaushaltsgesetz statt. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Verbot von Volksinitiativen über den Haushalt eines Landes alle Initiativen für Gesetze ausschließt, die „gewichtige staatliche Einnahmen oder Ausgaben auslösen und damit den Haushalt des Landes wesentlich beeinflussen“. Die Kosten, die der Gesetzentwurf im Fall einer Zustimmung bei einer Volksabstimmung verursachen würde, würden das Haushaltsgleichgewicht und die Budgethoheit des Parlaments wesentlich beeinflussen. Sie belaufen sich nach Angaben der SPD auf 529 Millionen Euro jährlich, nach Einschätzung des Städtetages könnten sie sich sogar auf 730 Millionen Euro jährlich belaufen. Zur Veranschaulichung: Die Mittel, die im kommenden Haushalt noch nicht rechtlich gebunden sind, belaufen sich auf rund eine Milliarde Euro – und wären alleine durch dieses Gesetzesvorhaben nahezu vollständig gebunden. Damit bliebe kaum noch Raum für sonstige freiwillige Leistungen des Landes wie zum Beispiel Zuschüsse für den Schulausbau, den Breitbandausbau, landwirtschaftliche Förderprogramme, den Klimaschutz oder die Stärkung der Polizei. Damit ist der Antrag der SPD unzulässig.
Zweitens finden nach der Landesverfassung auch über Abgabengesetze keine Volksbegehren und Volksabstimmungen statt. Der Gesetzentwurf, den die SPD zur Abstimmung stellen möchte, bezieht sich auf Abgaben, zu denen Kindergartengebühren gehören. Unter Abgabengesetze fallen alle Gesetze, die Geldleistungen des Bürgers in Form von Steuern, Gebühren, Beiträgen oder anderen Abgaben an öffentliche Haushalte festsetzen. Erfasst werden nicht nur Gesetze, die die Erhebung von Abgaben gegenüber dem Bürger unmittelbar regeln, sondern auch Gesetze, die auf die Beseitigung einer Abgabenpflicht abzielen. Das ist bei dem Gesetzentwurf, über den abgestimmt werden soll, offensichtlich der Fall – weil alle Träger von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegepersonen, die auf die Erhebung von Elternbeiträgen verzichten, auf Antrag einen Ausgleich in Höhe des nicht erhobenen Elternbeitrags vom Land erhalten sollen.
Drittens bestehen Zweifel daran, ob das Land Baden-Württemberg ein solches Gesetz überhaupt noch erlassen darf. Hintergrund: Der Bund hat durch das sogenannte „Gute-KiTa-Gesetz" 1 vom Dezember 2018 das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) geändert. Der neue § 90 SGB VIII enthält eine Regelung, die öffentliche Träger verpflichtet, Kostenbeiträge zu staffeln, und auch die Kriterien dafür vorgibt. Da es sich um einen Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung handelt, können die Länder diesen nur regeln, solange und soweit der Bund keine Regelung getroffen hat. Durch die Neufassung des § 90 Absatz 3 SGB VIII hat der Bund eine verbindliche abschließende Regelung für die soziale Staffelung von Kostenbeiträgen geschaffen. Dem Land fehlt danach die Gesetzgebungskompetenz für die diesbezügliche Regelung im Gesetzentwurf der SPD. Falls hingegen eine Gesetzgebungskompetenz des Landes angenommen würde, ist davon auszugehen, dass die im Gesetzentwurf der SPD vorgesehene Ungleichbehandlung kommunaler und nichtkommunaler Träger bei der Bemessung der Elternbeiträge gegen den Gleichheitssatz nach Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes verstößt.
Allgemeine Informationen zu Volksbegehren
Nach dem Volksabstimmungsgesetz bedürfen Volksbegehren der Zulassung durch das Innenministerium. Der Zulassungsantrag muss von mindestens 10.000 Bürgerinnen und Bürgern, die in Baden-Württemberg wahlberechtigt sind, auf einem dafür vorgeschriebenen Formblatt unterschrieben werden. Das Innenministerium hat zu prüfen, ob der Antrag vorschriftsmäßig gestellt ist und eine Gesetzesvorlage dem Grundgesetz und der Landesverfassung nicht widerspricht. Ist der Antrag zulässig, macht das Innenministerium die Zulassung und den Zeitraum für die Unterschriftensammlung bekannt. Das Volksbegehren ist erfolgreich, wenn es von mindestens einem Zehntel der Wahlberechtigten unterstützt wird (das sogenannte Zulassungsquorum). Ist das Volksbegehren erfolgreich und stimmt der Landtag der Gesetzesvorlage nicht unverändert zu, findet anschließend eine Volksabstimmung statt. Bei der Volksabstimmung über
1 Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilnahme in der Kindertagesbetreuung vom 19.12.2018 (BGBl. I S. 2696)